Welche Kompetenzen sollten bei Mitarbeitenden und Führungskräften entwickelt werden, um Projekte zur digitalen Transformation erfolgreicher zu machen? Wenn es nach der Mehrheit der über 4.000 durch die IHK befragten Unternehmen geht, dann sind „Digitales Mindset“ und der „Umgang mit digitalen Technologien“ die zwei meistgenannten Entwicklungsfelder. Und aus meiner Sicht gibt es hier spannende Zusammenhänge.
Change Management ist ein ganzheitlicher Ansatz
Wenn man sich diese beiden Themen „Mindset“ und „Umgang mit Technologien“ ansieht, dann fällt auf, dass das Mindset etwas völlig grundlegendes ist. Ohne den Wunsch nach Veränderung und ohne Motivation zur Handlung wird es keine Veränderung geben. Das Mindset bildet also so etwas wie das Fundament für Veränderung. „Umgang mit digitalen Technologien“ – In der Befragung mit der zweithäufigsten Zustimmung hingegen ist etwas, das sich im Zuge der Veränderung erzielen lässt. In der Praxis sind es häufig Schulungen, die das Ende von Projekten einläuten und Mitarbeitenden ermöglichen sollen, den Umgang mit der neuen digitalen Technologie zu erlernen. Die weitere Fortbildung ist dann häufig einzelfallabhängig oder man verlässt sich auf „learning by doing“.
Wenn eine Schulung und das anschließende Warten auf Routine ausreichend wären, dann gäbe es wohl kaum so viel Zustimmung dafür, dass der Umgang mit Technologien das wichtigste Entwicklungsfeld ist. Die erfolgreiche Transformation ist also keineswegs nach dem geplanten Schulungsmarathon am Ende des Projektes abgeschlossen. Die Change Management Praxis zeigt uns, das Change Management sich über einen lagen Zeitraum erstrecken muss. Beginnend damit, Veränderung in Gang zu setzen und zu verdeutlichen, dass der Status-Quo nicht die beste Option für die Zukunft ist – und dann noch über den Zeitpunkt der letzten Schulung hinaus, damit sich neue Technologien und neues Handeln nachhaltig verankern.
Das Mindset für erfolgreiche Projekte ist Teil der Unternehmenskultur
Die zugrundeliegende Umfrage der [1] nennt „Mindset“ als wesentliches Handlungsfeld. Das könnte den Eindruck erwecken, als wäre das Mindset etwas, das sich ganz isoliert betrachten ließe. In der Praxis ist das aber nicht der Fall. Es geht darum, wie Mitarbeitende Veränderungen im Unternehmen wahrnehmen. Wie viel Weitblick vorhanden ist, um die Zusammenhänge im eigenen Unternehmen zu verstehen. Und darum, wie Ideen ausgetauscht und weiter entwickelt werden. Das was hier als „Mindset“ betitelt ist, ist im Wesentlichen ein Teil der Unternehmenskultur.
Dann wäre also die Frage, ob sich Unternehmenskultur entwickeln kann. Aus meiner Sicht ja – Denn die aktuelle Unternehmenskultur hat sich ja auch bis zu diesem Punkt entwickelt. Dann bleibt die Frage, wodurch die Entwicklung beeinflusst wird. Im Wesentlichen sind es die durch das Team gemachten Erfahrungen und Erlebnisse, welche die Unternehmenskultur prägen. Und auf das, was innerhalb des Unternehmens erfahren und erlebt wird, haben Sie als Führungskräfte und Unternehmende großen Einfluss.
Die Theorie der Pfadabhängigkeit
Es gibt diverse Organisationstheorien, die versuchen zu erklären, warum das etablieren neuer Verhaltensmuster so schwer fällt. Zwei bekannte Vertreter sind die Theorie der Pfadabhängigkeit [2] und die Theorie des eskalierenden Commitments [3]. Beiden Theorien liegt die Annahme zugrunde, dass in der Vergangenheit bewährte Vorgehensweisen und getroffene Entscheidungen in Verhaltens- und Einstellungsmustern enden, die nur schwer zu verändern sind.
In der Theorie der Pfadabhängigkeit entsteht ein solcher Pfad in drei Stufen. Die Entwicklung beginnt mit kleinen, vermeintlich unbedeutenden Entscheidungen. Die zweite Phase beginnt, dort, wo aus den Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen selbst-verstärkende Prozesse eintreten. Das heißt es gibt eine positive Rückkopplung von Auswirkungen – Der Nutzen wächst, wenn ein bestimmtes Muster wiederholt wird und ein Drang entsteht mehr vom gleichen zu tun und dieses Verhalten immer mehr in der Organisation zu verankern. So entsteht ein dominantes organisatorisches Lösungsschema – Ein Pfad. So lässt sich auch erklären, was wir im Alltag häufig als „Best Practise“ bezeichnen.
Das Handeln der Organisation wird zunehmend abhängig von diesem Pfad. Nach Sydow, Schreyögg und Koch ist ein Pfad „ein erstarrtes, potenziell ineffizientes Handlungsmuster, das sich aus den unbeabsichtigten Folgen von früheren Entscheidungen und positiven Rückkopplungsprozessen entwickelt hat“ [4]
In der Praxis kann ein Pfad verlassen werden. In den meisten Fällen handelt es sich bei diesen Pfadabweichungen jedoch in der Regel um inkrementelle Anpassungen. Um einen Pfad zu durchbrechen, muss man wieder „zurück auf Anfang“ – Zurück zu dem Punkt, an dem aus mehreren verfügbaren Optionen Entscheidungen getroffen wurden, die zur Entwicklung des Pfades führten. Kurzum: es müssen wieder neue Handlungsoptionen geschaffen werden.
Mindset ist das Ergebnis von Erlebnissen und Erfahrungen
Brauchen wir nun also große Mindset Initiativen und Projekte, um überhaupt zu erfolgreichen Transformationsprojekten zu kommen? Ich denke, dass Ihnen das in der Praxis nur wenig weiterhelfen wird. Sie können Formate wie zum Beispiel Barcamps, Kulturwerkstatt oder ähnliche nutzen, um neue Optionen zu entdecken. Von hier aus, muss es dann aber gezielt weitergehen. Entscheidungen, Handlungen und Erfolge sind notwendig, um nachhaltig neue Wege einzuschlagen. Das bedeutet: Wenn Sie neue Optionen erfolgreich zu Ergebnissen und nachweislichem Mehrwert umsetzen, dann wird sich die Unternehmenskultur entsprechend weiter entwickeln.
Ist es denn jetzt also ein Henne-Ei-Problem und die Frage, was zuerst kommt – das passende Mindset, ohne das der effektive Umgang mit Technologien nicht möglich ist – oder umgekehrt? Ich denke, ganz so ist es nicht. Das Geheimnis liegt darin zu verstehen, dass sich beides gleichzeitig entwickeln wird und miteinander wächst. Wenn die Unternehmenskultur hierarchisch und effizienzbestimmt ist, wird ein Projekt zur Einführung komplett selbstbestimmter Arbeitsweisen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit scheitern. Die angestrebte Veränderung muss Ihrer Organisation angemessen sein – Sozusagen ein Gleichgewicht zwischen Unternehmenskultur und Transformationsaufgabe. Change Readines Assessments (siehe: Ist Ihre Organisation bereit für Veränderung? So Finden Sie es heraus!) können dabei helfen, potentielle Lücken zu identifizieren und das Veränderungsvorhaben entsprechend anzupassen.
Dies soll bitte nicht falsch verstanden werden. Große Veränderungen müssen nicht zum Scheitern verurteilt sein. Es besteht lediglich mehr Risiko. Manchmal sind große Veränderungen einfach notwendig. Denken Sie zum Beispiel an Turnarounds oder gar Insolvenz- und Sanierungsprojekte. Bei solchen Projekten ist in der Regel nicht das Mindset, sondern die offenkundige Notwendigkeit zu Handeln und die Konsequenzen des Nicht-Handelns maßgeblicher Treiber für den Wandel. Dennoch ist das Mindset wichtig, um auch solche Projekte erfolgreich durchführen zu können. Im Umkehrschluss ist davon auszugehen, dass ein erfolgreiches Sanierungsprojekt einen entsprechend großen Einfluss auf das Mindset der betroffenen Geschäftsbereiche haben wird und das Potential hat, etablierte Muster zu durchbrechen.
Quellen und weiterführende Links
[1] Digitalisierungsumfrage 2022/2023 (dihk.de)
[2] Pfadabhängigkeit – Wikipedia
[3] Escalation of commitment – Wikipedia
[4] ON THE THEORY OF ORGANIZATIONAL PATH DEPENDENCE (fu-berlin.de)
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