Eine neue Strategie in Unternehmen umzusetzen ist für viele Führungskräfte wie eine Schifffahrt durch bisher unbekannte Gewässer. Manch einem ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken an die lange Reise – andere freuen sich auf das Abenteuer. Nicht jedes Schiff ist für eine solche Reise ausgelegt und die gewählte Route hängt von mehreren Faktoren ab. Welche Analogien es noch zwischen einer Segelreise und Organisationsentwicklung gibt, beschreibe ich in diesem Artikel.
Das Schiff, die Mannschaft und die Positionsbestimmung
Wenn man Unternehmen beschreiben möchte, dann lassen sich verschiedene Merkmale des Unternehmens beschreiben. In meinem Artikel Überlassen Sie die Entwicklung Ihrer Organisation nicht dem Zufall, habe ich ein Modell vorgestellt, das die m.E. wesentlichsten Faktoren beschreibt.
Die Ausprägung der einzelnen Faktoren ist je nach Unternehmen unterschiedlich und einzigartig – Kein Unternehmen ist wie das andere.
Wenn man nun jede dieser Organisationfaktoren wie eine Dimension in einem mehrdimensionalen Raum betrachtet, so ließe sich jedes Unternehmen eindeutig in diesem Raum darstellen. Diesen Raum kann man dann als strategischen Optionsraum betrachten, in dem sich ein Unternehmen durch Anpassung der Organisationsfaktoren platzieren kann. Leider ist das zeichnerisch nicht möglich, so dass weiter unten eine zweidimensionale Darstellung gewählt wird.
In der Analogie zu der Segelreise stellt die Organisation und die mit ihr verbundenen Menschen das Schiff und die Besetzung dar. Die Lage im mehrdimensionalen Raum steht für die aktuelle Position des Schiffs.
Die Wechselwirkung zum Marktumfeld
Auf jedes Unternehmen wirken nun äußere Einflüsse ein. Hierzu gibt es mehrere systematische Betrachtungsweisen. Zum Beispiel Porters Five Forces oder die STEP Analyse (mit all ihren Abwandlungen). Ich führe in meiner Darstellung (siehe Artikel oben) eine Mischung beider Ansätze auf und beschreibe das Marktumfeld durch die Faktoren: Politik, Technologie, Gesellschaft, Kapital, Kunden, Lieferanten, Partner und Wettbewerber.
In der Analogie zu der Schifffahrt ist dieses Marktumfeld so etwas wie das Wetter, die Gezeiten, Strömungen, andere Schiffe und Objekte im Wasser. Ebenso wie beim Wetter ist ungewiss, wie sich das Marktumfeld verändern wird. Zwar gibt es Modelle, die uns Prognosen ermöglichen. Aber eine genaue Vorhersage ist aufgrund der Komplexität nicht möglich. Sowohl beim Wetter als auch im unternehmerischen Umfeld gibt es Wechselwirkungen zwischen den Umgebungsfaktoren untereinander sowie auf das Schiff bzw. die Organisation.
Einen wichtigen Unterschied zwischen der Umgebung des Schiffs und der Umgebung von Unternehmen muss ich allerdings noch anmerken: Während ein Schiff auf See keinerlei Einfluss auf Wind und Wetter hat, haben Unternehmen durchaus Einflüsse auf die Umgebungsfaktoren. Zum Beispiel, können bestimmte Situationen zu Reaktionen in der Politik führen. Oder Unternehmen versuchen durch Werbung oder Lobbyismus Einfluss zu nehmen.
Neue Ziele stecken und gewohnte Fahrwasser verlassen
Welche Gründe kann es nun geben, den Anker zu lichten und die derzeitige Position verlassen zu wollen? Ein Grund könnte ein aufziehendes Unwetter oder das nahende Niedrigwasser sein. In diesem Fall müssen wir unser Schiff bewegen, um Schaden zu vermeiden. Im unternehmerischen Umfeld wäre das eine notwendige Veränderung zum Beispiel durch Gesetzesänderungen oder steigende Kapitalkosten. Die neue Position im Raum, die das Unternehmen erreichen möchte, als das zu erreichende Ziel muss so ausgewählt werden, dass es uns erlaubt, die hierdurch entstehenden Risiken zu vermeiden.
Eine andere Variante ist eine aufkommende Möglichkeit, die Sie wahrnehmen wollen. Wenn Ihr Schiff zum Beispiel Güter transportiert, nach denen an einem anderen Ort gerade eine große Nachfrage herrscht – oder Sie und Ihre Crew sich einfach nur an den beliebten Hafenfesten vergnügen wollen, dann dient das neue Ziel nicht der Vermeidung von Risiken, sondern dem realisieren von Chancen.
Einen maßgeblichen Einfluss darauf, welche Ziele eine Organisation überhaupt erreichen kann, haben dabei die Haltung Ihrer Mitarbeitenden zu dem neuen Ziel, sowie die Erfahrung und Fähigkeiten der Besatzung und des Kapitäns. Ebenso wird es eine Rolle spielen, wie gut Ihr Schiff ausgestattet ist und ob Sie über genügend Vorräte verfügen.
Auch Unternehmen müssen sich strategisch neu Positionieren, wenn es um die Vermeidung aufkommender Risiken bzw. das Realisieren von Chancen geht. Und analog zu der Darstellung der Fähigkeiten von Schiff und Besatzung ist auch hier entscheidend, das die Organisation über das Notwendige Wissen, den Willen, die Fähigkeiten und die Ressourcen verfügt und ob diese so anpassungsfähig sind, die neue Strategie möglichst schnell zu operationalisieren. Damit einhergehend ist die Einflussnahme auf die Organisationsfaktoren.
Navigieren, Beobachten und die Segel trimmen
Egal, aus welchem Grund wir uns eine neue Position im strategischen Raum aussuchen – Wichtig ist, dass wir einige Dinge beachten. Da wäre zunächst die Frage der Erreichbarkeit. Habe ich ein Schiff, das schnell genug ist, um die gewünschte Position in der gewünschten Zeit zu erreichen? Ist es vielleicht zu groß für den beabsichtigten Liegeplatz? Das alles sind Fragen, die anhand der Organisationsfaktoren bewertet werden müssen. Ist ausreichend Ausrüstung für die Länge der Reise vorhanden und ist die Crew der Herausforderung gewachsen?
Dann gibt es noch die Frage der externen Faktoren. Lassen Wind und Strömung es zu, die neue Position zu erreichen? Ist die beliebte Ankerbucht vielleicht schon voll besetzt von anderen Booten, so dass wir keinen Platz mehr finden werden? Ich denke sie merken bereits, welche unternehmerischen Fragen Sie sich an dieser Stelle stellen müssen.
Die Überfahrt sollte so geplant werden, dass sie auf möglichst direktem Weg mit maximaler Geschwindigkeit reisen, ohne durch Nachlässigkeit neue Probleme heraufzubeschwören. Denn Ihr Ziel sollte es sein, das Risikogebiet möglichst schnell zu verlassen bzw. den Vorteil gegenüber anderen Schiffen, die einen Liegeplatz im gleichen Hafen suchen, zu nutzen, bevor der Hafen voll ist und für Ihre eigenen Manöver nur wenig Platz bleibt.
Last but not least bleibt dann noch die Aufgabe, vom Ausgangspunkt zum Ziel zu navigieren. Der Navigator auf dem Schiff wird regelmäßig Kurs und Geschwindigkeit prüfen und die derzeitige Position erfassen, um sicherzustellen, dass sich das Schiff noch auf dem richtigen Weg zum Ziel befindet. Verändert sich das Wetter evtl. entgegen der Prognosen – Wie verändert sich die Umgebung? Gut, dass wir neben unseren Messgeräten wie dem Barometer einen Ausguck haben, welcher die Welt um unser Schiff herum genauestens wahrnimmt. – Vielleicht treibt etwas im Wasser, dem ausgewichen werden muss? In diesem Fall ist der direkte Weg keine Option mehr. Sie wollen wohl kaum auf einen Eisberg auflaufen. Ach, und gibt es schon erste Anzeichen von Seekrankheit in der Besatzung – und waren Sie darauf vorbereitet? Sie wollen ja immerhin nicht, dass es zur Meuterei kommt.
Eine gute Navigation ist wichtig und stellt unseren Plan dar. Diesen gilt es nun auch umzusetzen. Auf dem Schiff macht das der Rudergänger – oder die Rudergängerin. Und wer schonmal das Ruder in der Hand hatte, der weiß: das Schiff reagiert nicht sofort, wenn Ruder gelegt wird. Es ist eine hohe Kunst, die Pinne oder das Steuerrad mit der richtigen Geschwindigkeit an die richtige Position zu bringen und dann genau den richtigen Moment abzupassen, um das Ruder wieder in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Besonders unerfahrene Rudergänger benötigen etwas Zeit, bis sich ein Gefühl hierfür einstellt. Reagiert der Rudergänger auf jede kleine Wellenbewegung und wird die Trägheit des Schiffs nicht berücksichtigt, so kommt es schnell zu Unruhe und der Rudergänger braucht viel Energie für ständiges korrigieren. Übrigens: Diese Trägheit ist bei Jollen Geringer als bei einem Großsegler mit drei Masten. Je größer das Schiff, desto träger reagiert es auf die Steuerimpulse am Ruder.
Es gilt also, die Umgebung, die eigene Besatzung und das eigene Schiff ständig zu beobachten, zu manövrieren und die Segel optimal auf die Umgebung und den gewünschten Kurs anzupassen. Dieser Teil der Analogie bezieht sich auf die Managementsysteme, die Sie in Ihrem Unternehmen etabliert haben. Das sind zum Beispiel ihr Qualitätsmanagement, Ihre Projektmanagement Ansätze, das Personalmanagement, Produktmanagement etc. Sie dienen im Übertragenen Sinne der Regelung der Besatzung und des Schiffes. Die Route, die Sie somit vom Ausgangspunkt zum Zielpunkt planen bzw. später bestreiten, repräsentiert Ihr Veränderungsprojekt.
Was bedeutet das alles für das Management
Ich hoffe, Sie konnten aus der Analogie einige Impulse für ihre Organisation mitnehmen. Ein paar wesentliche Kernbotschaften fasse ich nochmal zusammen:
- Unternehmen müssen ihr Umfeld ständig beobachten und in der Lage sein, aufkommende Chancen und Risiken bewusst wahrzunehmen
- Sie müssen in der Lage sein, schnell auf diese Veränderungen zu reagieren.
- Durch die Wechselwirkungen zwischen Organisations- und Marktfaktoren entsteht eine Dynamik, die es zu regeln gilt – Hierzu sind geeignete Management Ansätze und Systeme notwendig.
- Überlegen Sie sich, wie Sie während Ihres Projektes in der Lage sind, Ihre Position und Ihren Fortschritt zu ermitteln
- Professionelle Organisationsentwicklung initiiert und begleitet Veränderungen systematisch und steigert die Leistungsfähigkeit der Organisation langfristig.
Versuchen Sie gerne anhand der unterschiedlichen Markt- und Organisationsfaktoren, ihre eigene unternehmerische Position zu durchdenken. Wo stehen Sie gerade? An welchen Faktoren müssen Sie noch arbeiten, um eine bestmögliche Position zur Realisierung der am Markt vorhandenen Chancen einzunehmen? Wie könnte ein Projekt aussehen, um dies zu erreichen, welche Alternativen gibt es?
Wenn Sie sich genügend Zeit nehmen, all diese Fragen ausreichend zu beantworten, werden Sie die drohenden Unwetter auf dem Weg zum Ziel keinesfalls aus der Ruhe bringen.
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