Lean wird oft mit der Verschlankung und Optimierung von Prozessen in Verbindung gebracht. Doch es ist weit mehr als das. Lean ist eine Philosophie, die ihre Ursprünge im Toyota Produktionssystem hat und sich seitdem zu einer Inspiration für viele Managementansätze entwickelt hat. In diesem Artikel werden wir uns mit den wesentlichen Werten, Prinzipien und Modellen des Lean-Managements befassen und erkunden, wie es weit über die Prozessoptimierung hinausgeht und das moderne Management maßgeblich beeinflusst.

Von der Toyota Produktion in die weite Welt

Es herrscht manchmal etwas Verwirrung um den Begriff „Lean“. Häufig wird er mit Kaizen gleichgesetzt. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Lean beruht auf einem Gedankengut, mit Prinzipien und Methoden, welches seine Ursprünge in der Produktion des Automobilherstellers Toyota in Japan hat. Das Toyota Produktionssystem (TPS) hat sich dort, insbesondere durch den Einfluss von Taiichi Ohno seit ca. 1950 über die Jahre entwickelt. Toyota hat den Begriff Lean übrigens nicht verwendet. Dieser wurde erst später, Anfang der 90er Jahren durch die Veröffentlichungen von James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos geprägt. Aufgrund der Ursprünge in der Produktion wird häufig auch von Lean Production oder Lean Manufacturing gesprochen. Da die Prinzipien bei Toyota aber auch im Management genutzt wurden, hat sich der Begriff Lean Management etabliert. Je nach Bereich gibt es unterschiedliche Tools, die angewendet werden. Im Kern, ist die zugrundeliegende Idee von Lean jedoch wesentlich mehr als eine Methode und geht weit über die bloße Anwendung von Tools hinaus.

Die wesentlichen Werte und Prinzipien von Lean

Im Fall von Lean ist es schwierig festzumachen, wann es entstanden ist. Es gab keine Veröffentlichungen oder ähnliches, anhand derer man die Entstehung konkret ermitteln könnte (wie es zum Beispiel beim Agilen Manifest der Fall war). Der US Amerikanische Professor Jeffrey Liker begann ab ca. 1982 damit, sich im Rahmen von Studien mit dem Toyota System zu beschäftigen. Er veröffentlichte seine Erkenntnisse aus seiner Forschung und Interviews nach über 20 Jahren in dem Buch „The Toyota Way“ im Jahr 2004. Daraufhin folgten weitere Werke mit Schwerpunkt auf die einzelnen Unternehmensbereiche. Er beschreibt den „Toyota Weg“ modellhaft anhand von vier Bereichen. Diesen Bereichen ordnet er fünf Grundwerte zu, welche von Toyota erstmalig 2001 schriftlich definiert wurden. Er stellt aber klar, dass diese Werte wesentlich älter sind. In seinem Buch „The Toyota Way to Lean Leadership (2012)“ schreibt er:

It may seem strange to claim these values as foundational when they weren’t even written down until so recently. The truth is that Toyota in Japan had never needed to write them down. In many ways these values are derived from Japanese culture anf religion. Throughout Toyotas History in Japan, its vlaues were sinply understood and inculcated through careful mentoring of each leader as he moved through the company.“ (Liker, 2012)

Das 4P Modell des Toyota Wegs

Liker beschreibt im 4P Modell vier Bereiche: Philosophie, Prozess, People/Partner und Problemlösung, denen er die von ihm identifizierten 14 Prinzipien zuordnet:

Philosophie

Beschreibt die Orientierung an langfristig ausgerichtetem Denken. Entscheidungen sind auf eine langfristige Philosophie/Vision/Purpose ausgerichtet, auch wenn diese zu Lasten kurzfristiger Gewinnziele gehen. Die Philosophie bildet die Basis des Modells.

Prozess

Beschreibt die wesentlichen Kriterien, die ein schlanker Prozess erfüllt. Dazu zählt insbesondere ein flüssiger Prozessablauf, gleichmäßige Auslastung,  die Anwendung von Pull-Systemen, Einsatz zuverlässiger Technologie, Standardisierung, visuelle Kontrollen und das schnelle Unterbrechen bei Qualitätsproblemen. Der richtige Prozess führt zu den richtigen Ergebnissen.

People/Partner

Beschreibt den Respekt vor Menschen. Mitarbeitende, Zulieferer und Geschäftspartner werden respektiert, geschätzt, entwickelt und unterstützt. Führungskräfte leben die Philosophie und Werte von Lean aktiv vor. Die Entwicklung von Mitarbeitenden und Partnern generiert Mehrwert.

Problemlösung

Beschreibt die Art und Weise, wie Probleme gelöst werden. Dazu gehört, sich selbst ein Bild von der Situation zu machen, diese zu verstehen und zu lernen. Probleme sollen unter Berücksichtigung von Alternativen mit Bedacht und nach Entscheidung möglichst zügig umgesetzt werden. Kontinuierliche Lösung von Problem Ursachen ist der Antrieb für organisationsweite Lernprozesse. Diese unermüdliche Reflexion und ständige Verbesserung führt zu einer lernenden Organisation.

4P Modell des Lean Management nach Jeffrey K. Liker

Neben der Zuordnung der 14 Prinzipien stellt er den Einfluss der oben beschrieben fünf Grundwerte dar.

Die 5 Grundwerte des Lean

Toyota hat die Grundwerte der Unternehmenskultur erstmalig in 2001 in der Broschüre „The Toyota Way 2001“ schriftlich niedergelegt. Diese sind: Spirit of Challenge, Kaizen, Genchi Genbutsu, Teamwork, Respect.

Spririt of Challenge

Von Mitarbeitenden wird nicht nur erwartet, dass sie sie sich vorbildlich verhalten, sondern auch bereit sind, Herausforderungen zum Erreichen der langfristigen Ziele anzunehmen:

„We accept challenges with a creative spirit and the courage to realize our own dreams without losing drive or energy“ (The Toyota Way 2021, wie zitiert in Liker 2012)

Kaizen

Ein Japanischer Begriff, der übersetzt soviel heißt wie „Veränderung zum Besseren“. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass Leistung (von Prozessen, von Führungskräften etc.) immer weiter verbessert werden kann und nichts perfekt ist. Im Sinne von Lean bedeutet das, ein ewiges Streben nach Verbesserung. Selbst wenn ein Prozess aktuell perfekt scheint, können sich die Umstände ändern. Im Kern geht es darum, Verschwendung (im Japanischen: muda) zu eliminieren. Verschwendung sind beispielweise Handlungen und Bestandteile von Prozessen, die keinen Mehrwert aus Kundensicht generieren. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Kaizen eine Optimierung in kleinen Schritten bedeutet. Diese sind iterativ und inkrementell und nutzen Feedback Mechanismen nach jedem Schritt. Somit unterscheidet sich Kaizen von einer fundamentalen Neugestaltung (Japanisch: kaikaku)

Genchi Genbutsu

Genchi Genbutsu stammt ebenfalls aus dem Japanischen und heißt übersetzt so viel wie: „Aktueller Platz“. Häufig wird er auch mit dem Begriff „Gemba“ in Verbindung gebracht (Übersetzt: „der Wahre Ort“). Häufig wird das Prinzip als „Go and see to deeply understand“ interpretiert. Das bedeutet auch, dass Entscheider über persönliches, direktes und faktenbasiertes Wissen verfügen müssen, um Entscheidungen im Sinne von Lean treffen zu können, da nur hier der wahre Mehrwert und Nutzen festgestellt werden kann. Ebenso werden Menschen direkt am Ort des Geschehens, in die Problemlösung und Verbesserungsprozesse einbezogen. Lean ermutigt demnach Mitarbeiter dazu, aktiv an der Prozessverbesserung teilzunehmen und Lösungen für Probleme zu finden.

Teamwork

Im Lean Ansatz wird die Leistung von Teams betont, ohne zu vergessen, dass jeder einzelne zu Bestleistungen ermutigt und gefordert werden soll. Die Grundannahme ist, dass individueller Erfolg sich nur innerhalb eines gut funktionierenden Teams entwickeln kann. Andersherum profitieren Teams von der Entwicklung jeder einzelnen Person. Bei Beförderungen und Bonuszahlungen beispielsweise, sind individuelle Ziele von geringerem Stellenwert als Teamziele.

Respect

Respekt bedeutet Respekt vor Gemeinschaft und in besonderem Maße Rücksicht aufeinander. Es geht weit über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus und bezieht sich auf die Gesellschaft, die Kunden und Geschäftspartner. Dieser Respekt vor der Gesellschaft und den Menschen, findet sich auch in Toyotas Visionen und Mission Statements der vergangen Jahre wieder:

  • Toyota will lead the future mobility society, enriching lives around the world with the safest and most responsible ways of moving people.
  • To make ever-better cars, to build a future where everyone has the freedom to move.
  • Mobilität für alle – unabhängig von Alter und Gesundheit, stets im Einklang mit der Umwelt und möglichst CO2-frei.

Der Weg zur schlanken Organisation

Bei meiner Recherche, bin ich auf einigen Webseiten, auch auf eine andere Darstellung der Prinzipien des Lean Management gestoßen. Es ist dort von 5 Prinzipien des Lean Management die Rede. Diese entsprechen aber nicht den fünf, von Toyota beschriebenen Grundwerten. Daher könnte hier Verwirrung entstehen.

  1. Kunden und Nutzen/Mehrwerte identifizieren
  2. Den Wertstrom abbilden
  3. Kontinuierlichen Fluss erzeugen (Verschwendung vermeiden)
  4. Pull System ermöglichen (Auf Kundenbedürfnisse reagieren)
  5. Streben nach Perfektion (Kaizen / kontinuierliche Verbesserung)

Diese fünf Punkte stammen aus „Lean Thinking“ (J.P.Womack / D.T.Jones) ursprünglich aus dem Jahr 2003. Ich würde diese fünf Punkte als Prinzipien und eine Art „Fahrplan“ bezeichnen, um das Lean-Thinking (Das „schlanke Denken“) im Unternehmen zu unterstützen und sich zu einer schlanken Organisation zu entwickeln.

Persönliches Fazit

Man könnte argumentieren, dass die Lean-Prinzipien von Toyota auf den ersten Blick, wie gesunder Menschenverstand erscheinen. Insbesondere, wenn es darum geht, Verschwendung zu reduzieren, Prozesse zu optimieren und kontinuierlich Verbesserungen voranzutreiben – all das sind Prinzipien, die schon intuitiv sinnvoll erscheinen. In vielen Unternehmen liegt der Fokus in der Tat auf den Prozessen – und viele nutzen die Ansätze mit großem Erfolg. Aber Lean als Ganzes geht noch so weit darüber hinaus.

Insgesamt geht es bei Lean nicht nur um Offensichtliches und gesunden Menschenverstand, sondern um ein tiefgreifendes System, das auf einer Kombination aus Philosophie, Methodik und Erfahrung beruht. Während die Grundprinzipien intuitiv sein mögen, erfordert die erfolgreiche Umsetzung, eine gründliche Kenntnis der Konzepte, sowie eine kulturelle Veränderung innerhalb des Unternehmens, sowie eine entsprechende Grundhaltung jedes Einzelnen.

Ob Organisationen Lean bis ins letzte Detail und bis zur Perfektion umsetzen können, bleibt fraglich. Es ist von grundlegender Bedeutung, die individuellen Gegebenheiten einer Organisation, stets zu berücksichtigen. Das Streben nach Perfektion im Sinne von Lean, gestaltet sich oft als ein langwieriger und möglicherweise nicht endender, kontinuierlicher Prozess. In diesem Kontext, sollten Organisationsentwickler und Change Manager eine sorgfältige Prüfung vornehmen, um zu ermitteln, welche Veränderungen und Entwicklungen in welchem Maße für ihre spezifische Situation notwendig, sinnvoll und realistisch umsetzbar sind und wie sich diese tatsächlich in der Organisation auswirken.

Die Lean Philosophie fasziniert mich seit Jahren. Die Vielseitigkeit seiner Grundgedanken machte es zur Grundlage für viele andere Management-Ansätze in einer Vielzahl von Branchen und Bereichen. Dies Übertragbarkeit verleiht dem „schlanken Denken“ eine bemerkenswerte Relevanz bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Organisationen. Diese geht weit über inkrementelle Entwicklungen hinaus. Selbst bei tiefgreifenden Umbrüchen spielen Prinzipien wie Wertorientierung, langfristiges Denken und Mitarbeiterbeteiligung eine entscheidende Rolle.

Letztlich zeigt das Lean Management, dass seine Prinzipien nicht nur als Werkzeuge zur kontinuierlichen Verbesserung dienen, sondern auch als strategischer Kompass für die nachhaltige Entwicklung und den Erfolg von Organisationen in einer sich ständig verändernden Welt.

Quellen

  • Jeffrey K. Liker, Der Toyota Weg – 14 Managementprinzipien des weltweit erfolgreichsten Automobilkonzerns, 4. Auflage, 2007
  • Jeffrey K. Liker, The Toyota Way to Lean Leadership – Achieving and Sustaining excellence through Leadership Development, 1. Auflage, 2012
  • James P. Womack; Daniel T. Jones, Lean Thinking: Banish Waste and Create Wealth in Your Corporation, 2. Auflage, 2003

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Eigene Darstellung

Published On: 25. April 2025 / Categories: Agilität, Lean Management, Prozessmanagement, Strategie /